ToGü-Verlag
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Das ist der Nibelungen Not!

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Nibelungenlied wiederentdeckt. In dem Heldenepos werden historische Ereignisse aus der Zeit der Völkerwanderung mit Figuren der germanischen Mythologie gemischt, um eine spannende Geschichte aus Liebe und Hass, Treue und Verrat und den Kampf um einen Schatz zu erzählen. Das Ende vom Lied ist, dass das germanische Volk der Burgunden, die später als Nibelungen bezeichnet werden, von dem Volk der Hunnen völlig vernichtet wird.

 

In der offiziellen Historie waren die Hunnen ein nomadisches, mongolisches Reitervolk aus dem asiatischen Raum, das aufgrund ihrer überlegenden Kampftechnik Angst, Schrecken und Panik unter den germanischen Völkern ausgelöst hat. Die germanischen Völker flohen vor den Hunnen, was schließlich zur Völkerwanderung und zum Untergang des Römischen Reiches führte. So schnell wie die Hunnen gekommen waren, so schnell verschwanden sie auch wieder aus der Geschichte. Spuren haben sie kaum hinterlassen, sodass der Spiegel in einer Ausgabe vom 26.03.2013 schrieb: „Wer aber waren diese Hunnen, die auf ihren Pferden "gleich dem Wirbelwind aus den hohen Bergen" über die Germanen hinwegfegten und damit den Dominoeffekt gen Rom entscheidend auslösten? Woher kamen sie? Und warum? Die Wahrheit ist: Man weiß es nicht.“

 

Ich habe mir daher, angeregt durch das Buch von „Georg Kausch - Die unbequeme Nation“, das Nibelungenlied vorgenommen, um mehr über die Hunnen zu erfahren. Denn man sollte doch annehmen, dass der Autor des Nibelungenliedes einiges über die für sein Werk so wichtige Volksgruppe zu berichten weiß. Dabei sind mir folgende interessante Sachen über die Hunnen aufgefallen.

 

Die sehr beliebte, verstorbene Frau des Hunnenkönigs Etzel hieß Helke. Helke ist ein deutscher Name. Vorlage für „Etzel“ ist der berühmte Hunnenkönig Attila. Etzel lässt sich nach Wikipedia lautgesetzlich von Attila herleiten. Attila ist gotisch und bedeutet Väterchen. Eine Frau des historischen Attila war die Germanin Hildico/Ildico. Der Name leitet sich vom germanischen Hild und einer Verniedlichungsform ab. Heute würde man wohl Hildchen sagen. Das Königspaar der Hunnen trug also, sowohl im Nibelungenlied als auch historisch, germanische Namen, nämlich Helke/Ildico und Etzel/ Attila.

 

Etzel wird durchgehend als ehrenvoller und edler Fürst, König oder Heide beschrieben. Er gilt als „der Allerbesten einer, der je ein Königsland gewann“. Als Helke stirbt, lässt er am Hof der Burgunden um Kriemhild, der Schwester des Königs Gunther, werben. Die Werbung übernimmt der Markgraf Rüdiger von Bechelaren. Im 30. Abenteuer wird erklärt, das Rüdiger aus dem Hunnenland kommt, er also sehr wahrscheinlich selber ein Hunne ist. Seine Frau Gotelinde ist zudem eine sehr gute Freundin von Helke gewesen.  Seine Begleiter sind ihm zur Treue verpflichtete Hunnen. Für die Werbung putzten sie sich mächtig heraus. Es werden sogar extra schöne Gewänder ausgeteilt.

 

Kriemhild nimmt das Angebot an. Sie wird Herrscherin von „12 reichen Kronen“ und „30 Fürsten“. Sie wird Herrin über Frauen von „hoher Fürsten Stamm“. Der Fürst ist eine germanische Herrschaftsbezeichnung, die sich von dem „Ersten eines Stammes“ ableitet. Die hunnischen Fürsten sind ihr fortan zur Treue verpflichtet. Dieser vielbeschriebene, typisch germanische Treuschwur gilt also auch für die Hunnen und sie halten sich bis zum bitteren Ende des Dramas daran. Im 32. Abenteuer werden die Hunnen auch als Volk in Etzels Lehn bezeichnet. Rüdiger schwört Kriemhild ebenfalls die Treue, was sich im Laufe der Geschichte noch als fatal erweisen soll, da er dadurch seinen eigenen Schwiegersohn, Kriemhilds Bruder Giselher, bekämpfen muss.

 

Wie sieht es im Hunnenland aus? Der „Nomade“ Etzel lebt nicht in einem Zelt, sondern in einer starken Festung, die Traisenmauer genannt wird. Sie hat Paläste, Türme und einen Münster. Glockengeläut ruft die Menschen in die Kirche. Es wird von einem heiligen Friedhof gesprochen. Die Erinnerung an ihre Ahnen war den Hunnen also wichtig.

Eine mächtige Festungsanlage.

 

Etzels Kämmerer heißt Eckewart. Etzel hat mehrere Kammerdiener und sogar eigene Musikanten. Es sind die Spielleute Werbel und Schwemmelein. Weiter stehen in seinem Dienst Edelinge, die fast allesamt germanische Namen tragen und eine große Gefolgschaft hinter sich haben. Namentlich sind dies: Ramung, der Herzog der Walachen, der Fürst Gibeke, Hornbog, Hawart der Däne, Irnfried von Thüringen, Irin und der Fürst Blödel, ein Bruder Etzels. Selbst der berühmte Dietrich von Bern ist Etzel verpflichtet.

 

Die Hochzeit findet in Wien statt und alle eben Genannten kommen, um Kriemhild einen würdigen Empfang zu bereiten. Kriemhild lebt fortan auf der Traisenmauer und kennt nur einen Gedanken. Sie will den von Hagen begangenen hinterhältigen Mord an ihren über alles geliebten ersten Ehemann Siegfried rächen. Hagen ist der wichtigste Berater ihres Bruders König Gunther. Ihr Ehemann Etzel ahnt nichts von ihren Plänen.

 

13 Jahre später laden Etzel und Kriemhild die Burgunden zu einer „Lustbarkeit“ ein. Die Burgunden folgen der Einladung und ziehen an Etzels Hof. Kriemhild und Etzel haben mittlerweile einen 6 Jahre alten Sohn, der den Namen Ortlieb trägt. Etzel möchte, dass er am burgundischen Hof aufwächst. Die Burgunden übernachten in schmucken Betten mit reich verzierten Decken aus arabischer Seide, schwarzem Zobel und Hermelin. In goldenen Schalen wird den Gästen Met und Wein eingeschenkt. Met gilt in der germanischen Mythologie als Getränk und Geschenk der Asen. Es findet ein sportlicher Wettkampf, ein Ritterturnier statt. Weitere Namen wie Wolfhart, Helferichen, Herzog Siegstab, Wolfwein, Helmnit und Hildebrand tauchen auf hunnischer Seite auf. Eine Nichte Helkes ist die Verlobte von Dietrich von Bern. 

 

Und zu welchem großen hunnischen Fest laden sie ihre Verwandten ein? Die Antwort steht im 24. Abenteuer. Es ist das Fest der Sonnenwende! Welche große Bedeutung zum Beispiel die Wintersonnenwende für die Germanen hatte, kann man im „Ach!“- Sonnenwende Artikel nachlesen. Im 36. Abenteuer heißt es dann nochmal „Zu einer Sonnenwende- der größte Mord geschah“. Später beklagen sich die Burgunden: „Eine üble Hochzeit ist es-zu der die Königin uns lud“. Es ist also die Sommersonnenwende, die höchste Zeit der Sonne, als das Drama auf seinen Höhepunkt zusteuert.

 

Und dieser Höhepunkt ist wieder einmal ein typisches Beispiel für germanische Uneinigkeit. Keiner der Beteiligten, obwohl großenteils verwandt, ist in der Lage auch nur einen Millimeter von seinem Standpunkt abzuweichen. Verantwortungslos wird gehorcht und das Schauspiel endet wie es immer endete. Freunde und Verwandte schlagen sich die Köpfe ein bis keiner mehr übrig bleibt. Hagen erschlägt den erst sechs Jahre alten Ortlieb. Rüdiger und Gernot, ein weiterer Bruder Kriemhilds, töten sich gegenseitig, genauso Giselher und Wolfhart, Kriemhild lässt ihren Bruder Günter enthaupten und erschlägt den wehrlosen Hagen. Daraufhin erschlägt Hildebrand Kriemhild, da er es nicht ertragen konnte, dass ein Weib einen solchen Held erschlägt. Das Nibelungenlied endet mit dem Satz: „das ist der Nibelungen Not“, wobei Not im Sinne von Untergang zu verstehen ist.

 

Hat sich daran in den letzten Jahrhunderten irgendetwas geändert? Christen gegen Heiden, Katholiken gegen Protestanten, Rechte gegen Linke, Antifa gegen Pegida, usw. Für in der Rangordnung höher stehende Germanen gibt es anscheinend nichts Schöneres als für ihre Überzeugung oder ihre Interessen zu streiten. Und für in der Rangordnung niedriger stehende Germanen gibt anscheinend nichts Schöneres als treu und blindlings den Befehlen dieser Herrschenden zu gehorchen. Am liebsten hacken sie dabei auf ihresgleichen ein. Vielleicht weil sie sich selbst für diese Verantwortungslosigkeit hassen. Das ist der Nibelungen Not.

Ein Hoffnungsschimmer in meinem Garten.

 

Fazit: Es gibt im Nibelungenlied am Hof des „mongolischen“ Herrschers nichts, was annehmen lässt, dass es sich bei dem Volk der Hunnen um fremdländische, barbarische-asiatische Reiterhorden handelt. Es bleibt festzuhalten, dass die Hunnen im Nibelungenlied eindeutig Germanen sind. Es gibt keinen einzigen Hinweis auf eine mongolisch-nomadische Kultur. Nun könnte man einwenden, dass der Autor seiner Fantasie ein wenig freien Lauf gelassen hat und das mongolische einfach komplett weggelassen hat. Mag sein, aber das halte ich für unglaubwürdig. Oder können sie sich etwa vorstellen, dass Karl May seinen Winnetou Hans Peter genannt hätte oder seine Nschotschi Ursula? Oder dass seine Apachen nicht in Zelten, sondern in prachtvollen Burgen gehaust hätten? Wohl kaum.

 

Das Nibelungenlied ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass es sich bei den Hunnen um Germanen gehandelt hat. Doch wäre das im Einklang mit dem realen Geschichtsbild über die Hunnen? Dazu mehr im nächsten Teil.

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