ToGü-Verlag
ToGü-Verlag

Die S(k)lawen

Laut offizieller Geschichtsschreibung haben zahlreiche germanische Stämme  im 5. Jahrhundert aufgrund des Einfalls der Hunnen ihre angestammten Wohnsitze fluchtartig verlassen. Diese verlassenen Länder wurden in den folgenden Jahrhunderten von einer neuen Volksgruppe, den Slawen, in Besitz genommen.

Vorweg schicken möchte ich, dass kein Volk jemals panisch und kampflos seine Heimat verlassen hat und schon gar nicht ein bäuerlich geprägtes. Die Behauptung widerspricht einfach dem gesunden Menschverstand. Der Gedanke ist daher berechtigt, ob es sich bei den Slawen nicht einfach um die Nachfahren der Ostgermanen handelt. Der Streit darüber fokussiert sich meist auf die Sprache, auf die verschiedenen Sclavi Bezeichnungen in den Primärquellen oder auf die Familie des ersten polnischen Herrschers Dago/Miezko.

Ein besserer Ansatz ist es, der Frage nachzugehen, ob die Germanen überhaupt ihre angestammten Wohnsitze verlassen haben. Denn wenn man nachweisen könnte, dass dies nicht der Fall war, erübrigt sich der obige Streit. Die Ausführungen über Dago, Sprache, etc. wären dann nur weitere Indizien und Argumente. Um das herauszufinden, muss man sich vorab mit der germanischen Lebensweise beschäftigen.

Die germanische Wirtschaft beruhte zum großen Teil auf bäuerlicher Landwirtschaft. Wenn das Land nicht mehr genug hergab, musste die überschüssige Bevölkerung weiterwandern und sich neues Land erwerben. Das macht ja auch Sinn, da Land das Lebensnotwendigste für eine bäuerliche Gemeinschaft war. War das Land unbesiedelt, wurde es von den Germanen kultiviert. War es bereits besiedelt, wurde erst friedlich mit den Besitzern darüber verhandelt. Erst, wenn diese Verhandlungen ergebnislos waren, mussten die Waffen entscheiden. Belege hierfür findet man bei:

Florus I 38: „…aus Gallien, wie aus Spanien verdrängt, nach Italien wandern wollten, schickten sie Gesandte ins Lager des Silanus und von da an den Senat mit der Bitte, dass das Volk des Mars ihnen etwas Land als Sold gebe: im Übrigen möchte es nach seinem Belieben über ihre Arme und Waffen verfügen.“

Livius, Periocha 65: „Der Senat gab den Gesandten der Kimbern, die Wohnsitze und Ackerland forderten, wo sie sich niederlassen könnten, eine abschlägige Antwort.“

Cäsar, Gallischer Krieg I 30-54: „…; denn Ariovist, der König der Germanen, hat in ihrem Gebiet seinen Wohnsitz genommen und ein Drittel vom Grund und Boden der Sequaner, dem besten von ganz Gallien, besetzt…“

Cäsar, Gallischer Krieg II4, 1-3: „Die meisten Belgier stammen von den Germanen ab und seien vor alters über den Rhein geführt worden. Wegen des fruchtbaren Bodens hätten sie sich dort niedergelassen und die Gallier, die diese Gegenden bewohnten, verjagt.“

Cäsar, Gallischer Krieg IV 4-15: „Entweder mögt ihr (Cäsar)  uns (Usipeter und Tenkterer) Ackerland geben oder uns das behalten lassen, was wir mit den Waffen erobert haben.“

Der Zug der Kimbern und Teutonen um 110 v.Zw. war eine erste solche Landnahme. Doch wenn diese Züge nur der Landnahme durch die überschüssige Bevölkerung dienten, dann müssen sich in den Quellen auch Hinweise darauf finden, dass nicht das gesamte Volk, der gesamte Stamm die heimischen Wohnsitze verlassen hat. Und die gibt es! So schreibt Strabo über die Kimbern folgendes:

Strabo VII 291 f.: „Am Ozean wohnen die Kimbern.“

Strabo VII 293 f.:  „Denn sie haben auch jetzt noch (um 17n.Chr.) das Land inne, dass sie früher bewohnten: sie schickten dem Augustus als Geschenk den Milchkessel, der bei ihnen am heiligsten war, und baten ihn um seine Freundschaft und um Amnestie für das einst Geschehene.“

Das heißt über 100 Jahre nach dem Zug der Kimbern und Teutonen über die Alpen, finden wir den Kimbern Stamm immer noch an der Nordsee. Und diese Kimbern wissen genau über die Geschichte ihrer Vorfahren Bescheid, denn sonst würden sie ja nicht 100 Jahre später dem römischen Kaiser Augustus einen heiligen Kessel zur Versöhnung geschickt haben.

Kaiser Augustus berichtet ebenfalls ein Jahrhundert nach den Zügen der Kimbern und Teutonen über sie. Monumentum Ancyranum c. 25 (S.5, 14f.M): „Meine Flotte fuhr durch den Ozean von der Rhein Mündung gegen Sonnenaufgang bis zum Gebiet der Kimbern, wohin weder zu Wasser noch zu Lande ein Römer vor dieser Zeit gekommen war.“

Das sind die ersten eindeutigen Belege, dass die Germanen ihre angestammten Wohnsitze niemals verlassen haben, sondern dass nur die überschüssige Bevölkerung zwecks Landnahme weitergezogen ist. Diese Lebensweise finden wir auch in den folgenden Jahrhunderten. Nehmen wir als Beispiele die Vandalen und die Goten, die beiden größten germanischen Stämme.

Die Vandalen waren im Weichselgebiet beheimatet. 429 n.Zw. setzen sie von Spanien aus nach Afrika über und siedelten sich im heutigen Lybien an. Prokop berichtet über die Vandalen, dass eine Gesandtschaft aus der alten Heimat noch zur Regierungszeit Geiserichs (bis 477 n.Zw.) nach Afrika gekommen war, um alte Besitzangelegenheiten zu klären. Das bedeutet, das Jahrzehnte nachdem die Vandalen im Rahmen der Völkerwanderung nach Afrika gelangt waren, sie Verwandtenbesuch aus ihrer alten Heimat bekommen haben. Die Vandalen lebten also auch weiterhin in ihrer angestammten Heimat in Osteuropa. Interessant ist auch, dass es noch heute die Provinz Andalusien (Vandalusien?) in Spanien gibt. Die Vandalen werden halt auch dort gesiedelt haben.

Der größte germanische Stamm waren wohl die Goten. Noch im 18. Jahrhundert gibt es auf der Krim die krimgotische Sprache. Wie konnte sie sich dort so lange halten, wenn doch 1400 Jahre vorher dieses Volk vor den Hunnen geflüchtet war? Ganz einfach. Die Goten werden weiterhin auf der Krim gelebt haben.

Die Germanen haben somit niemals ihre Wohnsitze vollständig verlassen und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Slawen in Wirklichkeit Ostgermanen sind. Die Landnahme Züge sind vergleichbar mit den Burentrecks in Südafrika oder den Trecks der weißen Siedler in den Westen Amerikas im 19 Jahrhundert.

Diese Erkenntnis führt zu einer anderen Sichtweise auf die Berichte über die Sclavi. Auf einmal macht es Sinn, warum in mittelalterlichen Quellen Sclavi, Wenden, etc. mit den germanischen Vandalen gleichgesetzt werden. Es waren noch nicht christianisierte Germanen und diese ungläubigen Sklaven (im Sinne der katholischen Kirche) mussten natürlich bekehrt werden.

Druckversion | Sitemap
© ToGü-Verlag