ToGü-Verlag
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Der Osterwald!

Irgendwann habe ich angefangen mich für Orts- und Flurnamen in meiner Umgebung sowie ihen Ursprung zu interessieren. Dabei bin ich immer wieder über den Osterwald gestolpert. Hier habe ich zahlreiche Bezeichungen gefunden, auf die ich im Folgenden näher eingehen werde. Es sind die Namen Holtensen, Holenberg, Holtenser Bach, Barenburg, Königskanzel, Drachenschlucht, Drakenberg, Auf dem hohem Rode, Hoher Stuhl, Ritterkreuz, Weißer Stein, Wittenburg, Hainholzberg, Limberg, Götjeberg, Finie.

 

Holtensen, Holenberg, Holtenser Bach

Wenn man von dem Dorf Holtensen westwärts wandert und dem Holtenser Bach bis zu seiner Quelle folgt, gelangt man an den Holenberg. Das Dorf Holtensen, der Holtenser Bach sowie der Holenberg könnten ihre Namen von der germanischen Göttin der Unterwelt, Hel, bekommen haben. Hel ist die gutmütige und gerechte Frau Holle aus dem gleichnamigen Märchen. Im Laufe der Christianisierung wurde ihr Name zur grausamen Hölle, englisch hell umfunktioniert.

Der Holtenser Bach in der Drachenschlucht unter einer alten Brücke

 

Barenburg, Königskanzel, Drachenschlucht, Drakenberg

Dem Holenberg gegenüber liegen die Barenburg und die Königskanzel. Eine ursprüngliche und teils sehr zerklüftete Schlucht trennt diese Drei voneinander. Durch diese Schlucht, die Drachenschlucht genannt wird, fließt der oben bereits erwähnte Holtenser Bach.

Die Barenburg ist eine alte Wallburganlage, die nach Nordwesten und Nordosten durch steil abfallende Felsen geschützt ist. Von mehreren dieser Felsen hat man eine herrliche Aussicht in  nördliche Richtung über das Calenberger Land. Der Wortstamm Bar könnte sich auf Gebären/Geburt beziehen, zumal es ja auch die Bar Rune gibt, die genau dieses symbolisiert. Interessanterweise wächst unterhalb der Barenburg zu Füßen der schroffen Felswände und steilen Abhänge massenhaft Bärlauch. Bärlauch wird auch als Hexenzwiebel bezeichnet. Im Mittelhochdeutschen hieß der Bärlauch noch Hollauch, also Hels Lauch.

Die Königskanzel bietet einen weiteren schönen Ausblick, jedoch mehr in die westliche Richtung. Am Holenberg vorbei blickt man über die Drachenschlucht hinweg direkt auf den Drakenberg. Was hat der Drache mit den Germanen zu tun? Der Mittelpunkt der germanischen Familie zu Land war das Langhaus und zu Wasser das Langschiff. Die germanischen Wikinger hatten bekanntlich an ihren Langschiffen Drachenköpfe auf dem Vorder- und Hintersteven stecken. Das Hauptschiff der heutigen Kirchen heißt Langhaus. Auch an oder in alten christlichen Kirchen findet man noch Drachenköpfe. So zum Beispiel als Wasserspeier an der deutschen Kirche in Stockholm. Der Drache könnte also für unsere Vorfahren eine schützende Bedeutung gehabt haben, wogegen die Christen ihn oftmals als den fürchterlichen Teufel aus der Hölle darstellten.

Ein Teil der Drachenschlucht zwischen Holenberg und Königskanzel

 

Hoher Stuhl, Auf dem hohen Rode, Ritterkreuz

Wandert man die Drachenschlucht dem Holtenser Bach folgend weiter bergauf und biegt an ihrem Ende links ab, befindet man sich unterhalb des Hohen Stuhls. Der Hohe Stuhl ist der zweithöchste Berg des Osterwaldes. Der Weg unter ihm entlang führt am Ritterkreuz vorbei zu der Gemarkung Auf dem hohen Rode.

Die Begriffe Hoher Stuhl und Auf dem hohen Rode lassen vermuten, dass es sich hier um eine alte germanische Gerichtsstäte handelt. Rode kommt in diesem Fall nicht von Roden, sondern von der Gerichtsbarkeitsrune Rit/Rot. Ein ähnliches Beispiel ist der Ort Rössing, der in der Nachbargemeinde liegt. Erstmalig wird Rössing als Rotthingun erwähnt, also Rotthing=Gerichtsplatz der Volksversammlung. Der Hohe Stuhl oberhalb der Gemarkung Hohen Rode könnte also ein germanischer Gerichtsplatz gewesen sein, an dem schwierigere Streitigkeiten  (höheres Recht) entschieden wurden.

Östlich des Hohen Stuhls stoßen wir auf die Bezeichnung Ritterkreuz. Ritter waren gefürchtete  Kämpfer. Albrecht Dürer stellt sie in seinem berühmten Werk „Ritter, Tod und Teufel“ mit Tod und Teufel auf eine Stufe. Insbesondere die fanatischen Kreuzritter hatten sich einen Namen gemacht. Vielleicht ist das Ritterkreuz eine christliche Erinnerung an die Eroberung dieses Gebietes.

 

Weißer Stein, Wittenburg, Limberg, Hainholzberg

Erklimmt man den Hohen Stuhl und folgt seinem Kamm in östlicher Richtung, gelangt man über den Ahrensberg zum Aussichtspunkt Weißer Stein. Von hier hat man eine grandiose Weitsicht und kann bei gutem Wetter bis zum Harz schauen. Links unterhalb des Weißen Steins liegt der Hainholzberg, weiter rechts der Limberg. Weiterhin hat man einen guten Blick auf die Finie. Die Finie ist ein Bergrücken auf dem sich das Kloster Wittenburg befindet. Etwa zwei Kilometer davor am Fuß des Hainholzberges liegt das Klostergut Wülfinghausen.

Am Weißen Stein befindet sich tatsächlich ein weißer Stein. Allerdings nur, weil dieser kreisrunde tischähnliche Stein weiß angemalt wurde, und das ziemlich stümperhaft. Der Weiße Stein hat vermutlich gar nichts mit der Farbe Weiß zu tun, sondern eher mit dem Wort weise. Laut Rainer Schulz in seinem Buch „Die wahre Bedeutung der deutschen Ortsnamen“ wurden an einem weißen Stein Schwüre und Gelübde abgelegt. Weise Entscheidungen, die auf dem Hohen Stuhl getroffen wurden, wurden hier vielleicht per Eid bekräftigt. Gleiches dürfte für das Kloster Wittenburg (Weiße Burg) auf der Finie gelten. Der Anführer der Sachsen im Kampf gegen die Christianisierung hieß bekanntlich Wittekind. Den Namen hat er bestimmt nicht bekommen, weil er weiße Haut hatte, sondern weil er ein weiser, wissender Mann war. Geht man über den Hohen Stuhl in westlicher Richtung weiter, kommt man zu der Wittekinds Gosse, einem kleinen Bachlauf. Dieser entspringt am Götjeberg, der 1384 noch Godingberg hieß. Laut dem Flurnamenlexikon Eldagsen bedeutet Goding Gerichtsstätte, eventuell auch heilige Stätte. Goding könnte aber auch Gottesversammlung heißen. Ist es Zufall, dass in dem Wort Godingberg der germanische Allvater Odin enthalten ist?

In einem an das Kloster Wittenburg angrenzenden Waldstück gab es in den achtziger Jahren noch einen alten, unterirdischen Gang über den man vom Männerkloster Wittenburg in das Nonnenkloster Wülfinghausen gelangen konnte. Der Gang wurde zugeschüttet und man erzählte sich, dass darin Baby Skelette gefunden worden waren. Man stelle sich einmal vor, es hätte sich bei dem Gang nicht um ein christliches Bauwerk gehandelt, sondern um ein heidnisches. Sofort hätte man von blutrünstigen, grausamen Opferritualen und verrückten Aberglauben gesprochen.

Der Kopf des Hainholzberges ist leider einem Steinbruch zum Opfer gefallen. Auf ihm befand sich ebenfalls eine alte Wallanlage. Dem Flurnamen Lexikon Eldagsen kann man entnehmen, dass die Spitze des Berges im 19. Jahrhundert kranzförmig von einem Erdwall umgeben war und das hier eine altgermanische Kultstätte vermutete wurde. Nun ist dieser Platz für immer zerstört.

Blick vom Weißen Stein auf den durch Steinbruch zerstörten Hainholzberg

 

Der Limberg hieß laut dem Flurnamen Lexikon Alferde vor 1600 noch Lindtberg, also Lindenberg. Die Linde kennzeichnete die germanischen Thingversammlungsorte.

Alle diese Orte mit ihren germanischen Bezeichnungen liegen im Osterwald. Das Wort Oster leitet sich von dem germanischen Frühlingsfest Ostera ab. Noch heute berechnen wir, genau wie unsere Vorfahren, das Osterfest nach dem ersten Frühjahrsvollmond.

Zum Abschluss möchte ich auf die merkwürdige Bezeichnung Finie hinweisen. Die Finie wird als niedersächsische Toskana bezeichnet. Sie scheint einzigartig im gesamten deutschen Sprachraum zu sein. In den ältesten Quellen wird sie Vinige genannt. Auch dass Bergrücken ein weibliches Geschlecht haben, ist recht selten. Was sie bedeutet, weiß ich nicht.

Interessante Gegend!

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