Die Herkunft des Namens Wikinger ist unklar. Ich möchte im Folgenden eine weitere Theorie aufstellen, woraus sich der Name der Wikinger herleiten könnte.
Der Gegenspieler im 30 Jahre andauernden Religionskrieg des Frankenkönigs Karl gegen die Sachsen hieß Widukind. Ein musikalisches Andenken an ihn ist der Refrain des Niedersachsenliedes:
„Wir sind die Niedersachsen
sturmfest und erdverwachsen
Heil Herzog Widukinds Stamm!“
Dass es sich bei dem Krieg der christlichen Franken gegen die heidnischen Sachsen um einen Religionskrieg gehandelt hat, ist recht eindeutig. Allein 19 der 34 Kapitel, der durch Karl erlassenen Sachsengesetze (Capitulatio de Partibus Saxionnae), beschäftigten sich mit der Durchsetzung kirchlicher Interessen oder mit der Ausrottung des heidnischen Glaubens. Die Capitulatio de Partibus Saxionnae hatten das Ziel, die germanisch-sächsische Lebensweise zu vernichten. Wer sich z.B. nicht taufen lassen wollte, wurde nach Kapitel 8 mit dem Tod bestraft. Höhepunkt dieses Mordprogramms war die Enthauptung von 4500 Sachsen in Verden an der Aller im Jahr 782. Die Sachsenkriege endeten mit dem Sieg der Christen. Karl wurde zum Dank vom Papst zum römischen Kaiser gekrönt. Unter ihm hatte sich das erneuerte Römische Reich große Ländereien der germanischen Stämme einverleibt. Widukind hat sich laut den offiziellen Geschichtsquellen 785 taufen lassen und taucht danach nicht mehr auf. Er verschwindet einfach aus der Geschichte.
Von Widukind weiß man, dass er während des Krieges mehrere Male nach Dänemark geflüchtet war und von dort aus den Widerstand weiter organisierte. Man darf sich die Ländergrenzen nicht wie heute vorstellen. Wir sind im 8. Jahrhundert und die unterschiedlichen germanischen Nationen und ihre Sprachen haben sich erst später entwickelt. Adolf Norren sieht in seiner „Geschichte der nordischen Sprachen“ die nordischen Sprachen vor der Christianisierung als einheitlich an. Die Sprache war das dem Urgermanischen sehr ähnliche Urnordische. Erst nach der vollständigen Einführung des Christentums im 11. Jahrhundert ist die sprachliche Zersplitterung des Nordens so weit fort geschritten, dass man vier verschiedene Hauptdialekte unterscheiden kann. Diese Ursprache der Germanen soll auch dem althochdeutschen ähnlich gewesen sein. Zu Zeiten Widukinds wird es also noch einen zusammenhängenden germanisch-heidnischen Lebensraum gegeben haben. Daher seine "Flucht" nach Dänemark.
Widukind war auch unter dem Namen Wittekind bekannt. Im 12 Jahrhundert kam es zu einem Wittekindskult und so finden wir noch heute Namensbezeichnungen wie Wittekindsquellen, Wittekindsberge, Wittekindsburgen, Wittekindswege, Wittekindsbäche, usw., die an ihn erinnern. In dem Ach! Artikel „Der Osterwald“ beschreibe ich die vielen auffälligen germanischen Namen im kleinen Deister. Am ehemaligen Godingberg findet man dort u.a. die Wittekindsgosse.
Wittekind hat mit dem Wortstamm witt zu tun, was nicht nur weiß, sondern auch weise/wissen bedeutet. So sagen die Engländer zu Weisheit Wisdom, die Dänen Visdom oder die Holländer Wijsheid. Das englische Adjektiv wise wird wie die deutsche Farbe weiß ausgesprochen. In diese Richtung wird auch die alte Hansestadt Visby aus Gotland gehen.
Die Witt Bezeichnungen finden wir noch in großer Zahl in Orten, Bergen, Wallanlagen oder Familiennamen wieder. Witten, Wittenburg, Wittbach, Wittelsbacher, Wittenberg, Wittingen, Wittmund, usw. Wer kennt nicht die zweimalige Goldmedaillengewinnern im Eiskunstlauf Katharina Witt oder das berühmte Märchen von Schneewittchen. Schneewittchen, die kleine weiße Weisheit, wird vergiftet und für tot gehalten. Doch strahlend schön kehrt sie nach langem Schlaf wieder zurück.
Die Hagalrune schließt alle Runen in sich ein. Sie verinnerlicht somit das Wissen um die Bedeutung aller Runen und ist ein treffendes Symbol für Weisheit. Man findet sie als verschiedenartigstes Kunstwerk in jeder Schneeflocke. Das Märchen Schneewittchen will uns vielleicht sagen, dass dieses Wissen nicht zu töten ist.
Interessant ist, dass mit dem Verschwinden Widukinds aus den Geschichtsquellen eine andere germanische Gruppe auf den Plan tritt. Das sind die Wikinger. Wie aus dem Nichts überfallen sie im Jahre 793 das Zentrum der iroschottischen Christianisierungswellen, das Mutterkloster Lindisfarne, an der nordenglischen Ostküste. Gibt es Hinweise darauf, dass Widukind/Wittekind mit diesen Angriff etwas zu tun gehabt haben könnte?
Widukind ist auch unter dem friesischen Namen Weking bekannt. Einmal im Jahr, am 6. Januar, wird dem Sachsenherzog unter diesem Namen in der westfälischen Stadt Enger gedacht. Die Kinder in Enger singen dann im Timpken-Lied:
„Kinder kommt zum Timpkenfest,
Strömt herbei ihr Leckeschnuten.
Wenn ihr Weking nicht vergeßt
Kriegt ihr alte Timpkenstuten.“
Das Friesische ist naturgegebener maßen dem Englischen noch heute sehr ähnlich, da alle nordischen Sprachen den gleichen germanischen Ursprung haben. Im Englischen heißen die Wikinger Vikings. Der Buchstabe W ist eng verwandt mit dem Buchstabe V. Aus dem einfachen V hat sich erst das VV und dann das W entwickelt. Die Namensähnlichkeit zwischen Weking und Viking ist somit offensichtlich. Wir wissen aus den weiteren Artikeln der Ach-Reihe über die Entstehung der germanischen Stammesnamen wie Kimbern, Teutonen oder Franken Bescheid. Er ist daher sehr wahrscheinlich, dass sich der Name Wikinger aus dem Andenken an Weking/Viking entwickelt hat.
Wikinger/Vikings wären demnach Wekings Germanen gewesen. Wenn dem so wäre, dann müssten sie natürlich in seinem Sinne weitergewirkt haben. Was war das Hauptziel Widukinds gewesen? Der Kampf gegen die Christianisierung. Schauen wir uns unter diesem Gesichtspunkt das Verhalten der Wikinger in den folgenden Jahrhunderten an. Sind sie auf gleiche Weise wie der weise Weking/Widukind/Wittekind vorgegangen? Teil 2 folgt.